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Was steht im UN-Migrationspakt – und was nicht?

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Lange war er kein Thema, jetzt diskutieren alle über den UN-Migrationspakt. Das sind die wichtigsten Fragen und Antworten zu Zielen, Regelungen, Streitpunkten.

Einwanderer aus Nordafrika stehen am Hafen von Malaga.

Seit 2016 wird das Vertragswerk verhandelt, und lange interessierte sich kaum jemand für den UN-Migrationspakt, den „Globalen Pakt für eine sichere, geordnete und reguläre Migration“, wie er vollständig heißt (hier geht es zum Wortlaut). Es handelt sich um eine internationale Vereinbarung von rund 192 Staaten, die eine Grundlage für den Umgang mit dem weltumspannenden Phänomen schaffen soll. Rechtspopulisten machen aber schon seit Monaten gegen das Abkommen mobil – zuletzt mit einigem Erfolg, wie sich auch am Ausstieg Österreichs und der in Deutschland heftiger werdenden Debatte zeigt.

Der Pakt wird damit zunehmend zur Projektionsfläche für den innenpolitischen Richtungsstreit, wie sich die Bundesrepublik gegenüber Einwanderung verhalten soll. Viel Kritik entzündet sich daran, dass Migration im Pakt als positiv dargestellt wird, anstatt auch negative Auswirkungen mit einzubeziehen. Weil es trotz der mittlerweile verstärkten Berichterstattung viele Unklarheiten gibt, hier die wichtigsten Fragen und Antworten:

Was sind die Ziele des Pakts?

Der Pakt ist 32 Seiten lang. Seine wesentlichen Ziele sind zwei: Als erstes nennt er Information. Die Migranten sollten über alles aufgeklärt sein, was ihren Weg betrifft, einschließlich der Risiken, die sie dabei eingehen. Die Bevölkerung der Transit- und Aufnahmeländer brauche „objektive, faktengestützte und klare Informationen“ über Vorzüge wie Nachteile der Migration, „um irreführende Narrative, die zu einer negativen Wahrnehmung von Migranten führen, auszuräumen.“

Ein weiteres Ziel ist es erklärtermaßen, „die nachteiligen Triebkräfte und strukturellen Faktoren zu minimieren, die Menschen daran hindern, in ihren Herkunftsländern eine nachhaltige Existenzgrundlage aufzubauen und aufrechtzuerhalten, und die sie dazu veranlassen, anderswo nach einer besseren Zukunft zu suchen.“ Dazu schlägt er einerseits vor, die Lage dort zu bessern, also das, was in der deutschen Diskussion „Bekämpfung von Fluchtursachen“ heißt. Andererseits verlangt er Standards zugunsten derer, die trotzdem gehen. Ihre Menschenrechte sollen geachtet werden, sie sollen „Fürsorge und Unterstützung“ erhalten und Zugang zur Justiz, um ihre Rechte notfalls zu erstreiten.


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Die Unterzeichnerstaaten verpflichten sich, „alle Formen der Diskriminierung, einschließlich Rassismus, Fremdenfeindlichkeit und Intoleranz, gegenüber Migranten und ihren Familien zu beseitigen“. Und bereits, wenn sie auf dem Weg sind, soll ihr Leben geschützt werden, etwa durch Seenotrettung – egal aus welchen Gründen sie kommen, seien es Kriege oder der Wunsch nach einem besseren Leben. 

Der Pakt ist eine Art Zwillingsabkommen zum unabhängig davon verhandelten Vertrag über Flüchtlinge und stellt dazu fest: „Lediglich Flüchtlinge haben ein Anrecht auf den spezifischen internationalen Schutz, den das internationale Flüchtlingsrecht vorsieht.“ Der UN-Migrationspakt bezieht sich aber auf Migranten. Der Unterschied: Flüchtlinge sind Menschen, die von Verfolgung und Krieg bedroht sind. Migranten verlassen aus anderen Gründen ihre Heimat – etwa, um anderswo zu arbeiten.

Der UN-Migrationspakt, so steht es im Vertragstext, stellt „einen Kooperationsrahmen zur Migration in allen ihren Dimensionen dar“. Und weiter: In der Erkenntnis, dass die Migrationsproblematik von keinem Staat allein bewältigt werden kann, fördert er die internationale Zusammenarbeit zwischen allen relevanten Akteuren im Bereich der Migration und wahrt die Souveränität der Staaten und ihre völkerrechtlichen Pflichten.

Verabschiedet werden soll das Abkommen Anfang Dezember in Marokko.

Welchen Blick auf Migration hat der Pakt?

„Es geht ja nicht darum, ob man Migration für gut oder schlecht hält. Es gibt sie. Und es wird mehr davon geben”, sagte die UN-Migrationsbeauftragte Louise Arbour bereits im Sommer in einem Interview mit dem Tagesspiegel. Im Text des Pakts ist allerdings erkennbar, dass er Migration im wesentlichen positiv sieht: „Migration war schon immer Teil der Menschheitsgeschichte, und wir erkennen an, dass sie in unserer globalisierten Welt eine Quelle des Wohlstands, der Innovation und der nachhaltigen Entwicklung darstellt und dass diese positiven Auswirkungen durch eine besser gesteuerte Migrationspolitik optimiert werden können“, heißt es da. Sie sei „ein bestimmendes Merkmal unserer globalisierten Welt“, das Gesellschaften verbinde und Länder weltweit „zu Herkunfts-, Transit- und Zielländern“ macht.

In puncto Negatives bleibt der Text wolkig: Migration habe „unbestreitbar sehr unterschiedliche und manchmal unvorhersehbare Auswirkungen auf unsere Länder und Gemeinschaften und auf die Migranten und ihre Familien selbst“. Ziel des Pakts sei es, allen Migranten die Möglichkeit zu geben, „unsere Gesellschaften durch ihre menschlichen, wirtschaftlichen und sozialen Fähigkeiten zu bereichern“.

Welche Staaten wollen dem Pakt nicht beitreten? Warum?

Die USA unter Präsident Donald Trump nahmen an den Verhandlungen gar nicht erst teil. Alle anderen 192 UN-Staaten sollten aber dabei sein. Im Juli dieses Jahres stiegen dann als erstes Australien und Ungarn aus dem Abkommen aus. Ungarns Außenminister Peter Szijjarto erklärte, das Abkommen unterstütze die Migration und betrachte diese als Menschenrecht, was aus ungarischer Sicht inakzeptabel sei.

Australiens Innenminister Peter Dutton sagte, Australien werde den Pakt „in seiner aktuellen Form“ nicht unterzeichnen. Das Land stieß sich etwa an einer Passage, wonach Freiheitsentziehung für Migranten nur als letztes Mittel eingesetzt werden soll. Dutton befand, es sei nicht im nationalen Interesse, der UN die Verantwortung für die australische Grenzschutzpolitik zu überlassen. Der Hintergrund: Australien fängt seit einigen Jahren Flüchtlinge ab, die das Land per Boot erreichen wollen, und schickt sie entweder zurück oder interniert sie auf Inseln im Pazifischen Ozean.

Anfang November zog sich dann auch die österreichische Regierung aus dem Abkommen zurück, obwohl Bundeskanzler Sebastian Kurz als Außenminister den Pakt noch begrüßt hatte und Österreich sogar eine führende Rolle bei den Verhandlungen einnahm. Nachdem Gruppen wie die „Identitäre Bewegung“ und rechte Blogs gegen das Abkommen mobil machten, entschied sich die österreichische Regierung zur Kehrtwende. Bundeskanzler Kurz begründete die Entscheidung mit der „Gefahr, dass unsere souveräne Migrationspolitik untergraben wird“. „Wir sehen einige Punkte sehr kritisch, etwa die Vermischung der Suche nach Schutz mit Arbeitsmigration“, sagte er.

Anschließend verabschiedete sich Bulgarien aus dem Pakt, mit der Begründung, er gefährde nationale Interessen. Auch der polnische Ministerpräsident Mateusz Morawiecki sagte Anfang November, es sei „sehr wahrscheinlich” dass sich sein Land zurückziehen werde. In Kroatien erwägt man ebenfalls einen Rückzug, Tschechien will nicht zustimmen. In der Schweiz ist die Nationalversammlung gespalten, was den Pakt betrifft. Die Länder, die sich aus dem Pakt verabschiedet haben, sind vor allem solche, die ohnehin eine sehr migrationskritische Haltung einnehmen.

Wer stellt sich in Deutschland gegen den Pakt und mit welcher Strategie?

In Deutschland hat sich vor allem die AfD dem Kampf gegen den Pakt verschrieben. Sie hat schon im April eine aktuelle Stunde im Bundestag zu dem Thema beantragt, stellte auch eine Kleine Anfrage. Die AfD hat eigens eine Webseite zum Migrationspakt eingerichtet, auf der es einen Countdown bis zur geplanten Verabschiedung gibt. Auf einer Kampagnenplattform, in deren Impressum der Mann der AfD-Politikern Beatrix von Storch steht, werden Stimmen gegen das Abkommen gesammelt. Auch die vom Verfassungsschutz beobachtete „Identitäre Bewegung“ und das neurechte Portal „Epochtimes“ machen mobil.

Nachdem Österreich aus dem Pakt ausgestiegen ist, regten sich auch in der Union kritische Stimmen. So lehnt der sogenannte Berliner Kreis, eine Gruppe konservativer Abgeordneter, den UN-Migrationspakt ab, sollten sich daraus Verpflichtungen für Deutschland ergeben. Ihre Zustimmung wollen die Mitglieder des Kreises davon abhängig machen, dass die Bundesregierung dem Pakt eine einseitige Erklärung beifügt, in der Verpflichtungen aus den Inhalten für Deutschland ausgeschlossen werden.  Die in enger Verbindung mit dem Berliner Kreis stehende Werteunion kündigte jetzt eine „bundesweite Unterschriftenkampagne“ gegen den Migrationspakt innerhalb der Union an. Aus der Basis heraus will auch die Werteunion den Druck auf die Unionsfraktion erhöhen, dem Pakt nur dann zuzustimmen, wenn sichergestellt werde, dass keinerlei zusätzlichen Verpflichtungen entstehen.

Kann die Zustimmung der Bundesregierung verhindert werden?

Zwar muss der Bundestag der Vereinbarung des UN-Paktes formal nicht zustimmen. Aber nach der Kritik aus den eigenen Reihen will die Unionsfraktion im Bundestag einen Antrag zum UN-Migrationspakt für den Bundestag erarbeiten. Dieser soll mit der SPD-Fraktion abgestimmt und eingebracht werden. Um etwas zu beschließen, braucht es derzeit im Bundestag 355 Stimmen. Zusammen haben Union und SPD 399 Stimmen – also eine sehr deutliche Mehrheit. Selbst wenn sich eine signifikante Anzahl von Unionspolitikern entschlösse, nicht für den Antrag zu stimmen, würde das wohl kaum etwas ausmachen. Denn im Bundestag sind auch Linke, Grüne und FDP für den Pakt.

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