Politik

Warum die Griechenland-Rettung den Euro nicht gerettet hat

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Das Krisenprogramm für Griechenland geht zu Ende, doch der Euro ist immer noch in Gefahr. Was die EU aus der Krise hätte lernen können – aber nicht gelernt hat. Ein Essay.

Alexis Tsipras, Ministerpräsident von Griechenland, im Juni bei einer Sitzung seiner Parlamentsfraktion.

Am Ende mimten die Minister und Kommissare wieder die guten Europäer. „Ein historischer Tag für die Euro-Zone“ sei gekommen, „die Krise liegt nun hinter uns“, erklärte Pierre Moscovici, EU-Kommissar für die Währungsunion. „Es ist geschafft“, bestätigte Portugals Finanzminister Mario Centeno, derzeit Vorsitzender der Euro-Gruppe. „Mit unserer Solidarität“ sei das gelungen, meinte sein deutscher Kollege Olaf Scholz, und Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker befand, „Europa sollte stolz sein auf die Gemeinschaftswährung“.

So begingen die Regenten der Euro-Zone jüngst das für den morgigen 20. August angesetzte Ende ihres Krisenprogramms für das überschuldete Griechenland mit kollektivem Selbstlob. Athens Ministerpräsident Alexis Tsipras legte sogar ausnahmsweise eine Krawatte an, um das „historische Ereignis“ zu begehen.

Doch die Inszenierung war nur ein Bluff. In Wirklichkeit gibt es nichts zu feiern. Im Gegenteil: Griechenland ist wirtschaftlich ruiniert und hat keine Chance, dem Diktat seiner Gläubiger zu entkommen. Diese erzwangen gegen die Warnung der Experten des Internationalen Währungsfonds die Kürzung der Staatsausgaben um ein Drittel innerhalb von nur vier Jahren und verursachten damit die schwerste Rezession, die je einem Land im Frieden widerfahren ist. Das machte ein Fünftel der Bevölkerung arbeitslos, trieb 300.000 Griechen ins Ausland und erhöhte die Verschuldung auf 180 Prozent der Wirtschaftsleistung.

Doch anstatt mit einem Schuldenschnitt einen Neuanfang zu ermöglichen, verschoben die Kreditgeber nur die Tilgung in die ferne Zukunft und verpflichteten nun den griechischen Staat, weitere 42 Jahre lang einen Einnahmeüberschuss in Höhe von 2,2 Prozent der Wirtschaftsleistung zu erwirtschaften – eine nach Meinung aller unabhängigen Fachleute absurd unrealistische Vorstellung.

Noch schwerer als die fahrlässig herbeigeführte Verelendung Griechenlands wiegt ein weiteres Versagen: Die Regierungen der Euro-Zone haben auch die eigentlichen Ursachen der Krise nicht beseitigt. Noch immer droht Europas Währungsunion der Zerfall, heute sogar mehr als bei Ausbruch der Krise vor acht Jahren.

Schuld daran ist der grundlegende Widerspruch in der Verfassung des Euro: Die 19 beteiligten Staaten teilen sich zwar eine Währung, aber sie bewirtschaften ihre Staatshaushalte getrennt und betreiben ihre jeweils nationale Wirtschaftspolitik. Zudem dient die Europäische Zentralbank nicht automatisch als „Gläubiger der letzten Instanz“, der den Staatshaushalt im Krisenfall liquide hält, so wie es weltweit üblich ist. In der Folge gibt es bis heute keinen gemeinsamen Haushalt und auch keine gemeinsame demokratisch gewählte Regierung der Euro-Zone. Damit aber fehlt die zwingend nötige Institution, die das Gemeinwohl der Währungsunion als Ganzes repräsentiert und von den Bürgern aller Mitgliedsländer gemeinsam getragen wird.

Die Euro-Staaten schwächen sich am Kapitalmarkt gegenseitig

Der Kern dieser Fehlkonstruktion ist der Artikel 125,1 des EU-Vertrags. „Die Union haftet nicht für die Verbindlichkeiten der Zentralregierungen“, heißt es dort, und das gilt auch für die Mitgliedsstaaten untereinander. Zugleich verpflichteten sich die Euro-Gründer, die Staatsschulden auf 60 Prozent und das jährliche Defizit auf drei Prozent der Wirtschaftsleistung zu begrenzen. Die „Nichtbeistandsklausel“ sollte vor allem Deutschlands konservative Wähler beruhigen, und die gemeinsamen Regeln sollten eine gemeinsame Regierung ersetzen. Das aber säte den Keim des nun drohenden Zerfalls. Denn das Konstrukt stiftet bis heute bei den Bürgern die giftige Illusion, die Währungsunion sei ohne Machtverlust für die nationalen Regierungen machbar.

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Wie kontraproduktiv das ist, illustriert der Vergleich mit den USA beim Umgang mit der Staatsverschuldung. Die öffentlichen Haushalte der Vereinigten Staaten stehen mit 105 Prozent der jährlichen Wirtschaftsleistung in der Kreide. Das ist viel, trotzdem fürchtet niemand, dass die US-Regierung auch nur eine der ausgegeben Anleihen nicht bedienen würde. Nicht nur hat sie die Steuerhoheit, die erforderlichen Einnahmen zu generieren. Zudem garantiert die Zentralbank Federal Reserve alle Zahlungen. US-Anleihen sind daher der Inbegriff der sicheren Geldanlage, selbst wenn der Präsident ein Chaot ist. Die Euro-Zone dagegen ist als Ganzes mit 86 Prozent ihres Bruttoinlandsprodukts wesentlich geringer verschuldet und müsste eigentlich kein Schuldenproblem haben.

Aber weil Euro-Staaten am Kapitalmarkt einzeln operieren, können Banken und Fonds gezielt gegen die höher verschuldeten Euro-Länder spekulieren, indem sie die Zinsen für die Erneuerung der dortigen Staatsanleihen so hoch treiben, dass die Warnung vor der Staatspleite eine selbst erfüllende Prophezeiung wird. Genau das geschah im Frühjahr 2010 erst in Griechenland und kurz darauf auch in Irland, Portugal und Spanien. Ein Zahlungsausfall auch eines dieser Staaten hätte Europas Banken nur zwei Jahre nach dem Crash der US-Bank Lehman Brothers erneut kollabieren lassen, weil sie dort im großen Stil investiert waren.

Darum beschlossen die Regenten des Euro unter Führung der deutschen Kanzlerin Angela Merkel ein weiteres Mal, die Banken zu retten, indem sie den betroffenen Regierungen mehr als 400 Milliarden Euro an Notkrediten garantierten, um die Gläubiger auszuzahlen. Nur wollten sie diese Wahrheit den Wählern nicht eingestehen. Schließlich hatte schon die erste Bankenrettung rund eine Billion Steuereuro gekostet. Darum deklarierten Merkel und ihre Kollegen den Freikauf der Gläubiger als „Solidarität“ und „Rettung“, während sie trotz der Mitverantwortung aller Euro-Regierungen allein den Krisenstaaten die gesamte Last der benötigten Kredite aufbürdeten – ein verhängnisvoller Fehler.

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