Politik

Wie Netanjahu den Rechtsstaat aushebeln will

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Israels Regierungschef will den Obersten Gerichtshof entmachten und sich gegen Korruptionsvorwürfe Immunität verschaffen – doch der Unmut im Staat wird größer.

Der israelische Ministerpräsident Benjamin Netanjahu

Es war eine große Kundgebung. Mit Demonstranten voller Wut und der Überzeugung, Benjamin Netanjahu und seine Gesetzesvorhaben noch stoppen zu können, ja, zu müssen. Tausende Israelis protestierten am Samstagabend in Tel Aviv zusammen mit Politikern fast aller Oppositionsparteien gegen die Pläne des Premiers, den Obersten Gerichtshof zu entmachten und sich selbst Immunität zu verschaffen, um einer Anklage in drei Korruptionsfällen zu entgehen.

Benny Gantz, ehemaliger Netanjahu-Herausforderer des Bündnisses Blauweiß, machte in einer Rede deutlich, wie ernst die Lage seiner Einschätzung nach ist. „Israel ist die Erfüllung eines Traums. Aber ich bin hier, um laut und deutlich zu sagen, was wir alle fühlen: dass dieser Traum zerfällt. Es gibt jene, die versuchen, die Herrschaft des Volkes mit der Herrschaft eines einzelnen Mannes zu ersetzen und eine gesamte Nation im Interesse eines Mannes zu versklaven.“

Oppositionspolitiker Jair Lapid verglich Netanjahus Vorhaben mit der Politik des türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan: „Wir werden keinen türkischen Diktator haben. Wir werden das nicht zulassen.“ Viele der Protestteilnehmer trugen einen Fes, die traditionelle orientalische rote Filzmütze, darauf Aufkleber mit der Aufschrift „Crime Minister“. Sie hielten Plakate, auf denen „Bibi, Finger weg vom Obersten Gerichtshof“ oder „Es gibt keine Immunität für Korruption“ zu lesen war.

Demokratieschützer und Rechtsexperten schlagen Alarm

Zusammen mit seinen politischen Partnern plant Netanjahu Berichten zufolge die Rückkehr zu einem alten Gesetz aus der Zeit vor 2005, wodurch alle Parlamentarier Immunität erhalten würden. Der Generalstaatsanwalt könnte die Aufhebung ebendieser zwar beantragen, bräuchte dafür jedoch die Zustimmung des Parlaments. Wenn dieses sich weigert, könnte er sich an das Oberste Gericht wenden. Doch genau das soll entmachtet werden. Wenn es nach dem Willen Netanjahus geht, soll die Richter zukünftig nicht mehr in der Lage sein, Gesetze oder administrative Entscheidungen der Regierung, die gegen Grundrechte verstoßen, zu stoppen.

Menschen demonstrieren in Tel-Aviv gegen Benjamin Netanyahu.

Demokratieschützer und Rechtsexperten schlagen Alarm, beklagen den Versuch, in ein laufendes Strafverfahren einzugreifen. Schließlich droht Netanjahu eine Anklage wegen Bestechlichkeit, Betrug und Untreue. Viele sehen auch die Gewaltenteilung in Israel in Gefahr. „Wir haben keine zweite Kammer, unser Präsident hat kein Vetorecht, wir haben nicht den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte“, sagt Amir Fuchs vom Demokratie-Institut in Jerusalem und spricht von einem „dramatischen Schritt“, der einen „ernsthaften Schlag gegen die Rechtsstaatlichkeit“ bedeuten würde.

Netanjahu kämpft aktuell auch um die Regierungsbildung

Sogar in Netanjahus Likud-Partei gibt es Gegenwind. „Diese Gesetzgebung bietet keine Vorteile und verursacht maximalen Schaden“, sagte der Abgeordnete Gideon Saar vor Kurzem. Seit den Äußerungen sieht er sich – ebenso wie andere Abweichler auch – heftiger Kritik sowie Drohungen in den sozialen Netzwerken ausgesetzt. Er wird als „Verräter“ und „Linker“ beschimpft.

Netanjahu kämpft dieser Tage ebenfalls darum, bis zum Ende der Frist am Mittwochabend eine Koalition auf die Beine zu stellen. Uneinigkeit herrscht hauptsächlich zwischen den beiden ultraorthodoxen Parteien sowie der säkularen Partei „Unser Haus Israel“ von Avigdor Lieberman. Der will ein neues Gesetz auf den Weg bringen, damit zukünftig mehr Ultraorthodoxe zum Armeedienst verpflichtet werden. Die religiösen Parteien lehnen das Gesetz vehement ab. Ein Kompromiss scheint derzeit kaum vorstellbar. Neuwahlen sind nicht ausgeschlossen.

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