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Was beim Klimapreis auf die Bürger zukommt

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Die GroKo streitet über den Klimaschutz und sucht Rat bei Wissenschaftlern. Was die vorschlagen und was auf Verbraucher zukommt: Die fünf wichtigsten Antworten.

Stauungen in beiden Fahrtrichtungen

Christoph M. Schmidt ist einer der renommiertesten Volkswirte des Landes, aber auch er weiß nicht, ob diese Operation am offenen Herzen funktionieren wird. „Es ist wie beim Topfschlagen“, sagt er am Freitag auf dem Podium der Bundespressekonferenz. Ob man in die richtige Richtung schlägt, ob es heißer oder kälter wird, das kann auch er nicht vorhersagen. Nun ist der Klimaschutz kein Kinderspiel. Aber da auch die große Koalition bisher laut, aber ziellos auf den Topf geschlagen hat, haben die „Wirtschaftsweisen“ Kanzlerin Angela Merkel ein Konzept erarbeitet, wie es mit mehr Klimaschutz in Deutschland klappen soll. Dieses Konzept ist eine wichtige Basis für das große Gesetzespaket der Koalition, das bis September stehen soll.

Was schlagen die Ökonomen vor?

In dem Sachverständigenrat (SVR) sitzen die fünf führenden Ökonomen des Landes, das Sondergutachten „Aufbruch zu einer neuen Klimapolitik“ hat als erste Kanzlerin Angela Merkel bekommen. Es vermeidet zwar eine klare Festlegung in der Gretchenfrage „CO2-Steuer auf alles“ oder lieber eine Ausweitung des bestehenden Emissionshandels mit CO2-Verschmutzungsrechten. Dieser ist bisher auf den Energie- und Industriesektor begrenzt, Unternehmen müssen Zertifikate kaufen, um CO2 ausstoßen zu dürfen – je mehr, desto teurer.

Christoph M. Schmidt lässt klar durchblicken: Man hält letzteres für sinnvoller, notfalls soll der EU-weite Handel durch einen nationalen Emissionshandel für die Bereiche Verkehr und Gebäude ergänzt werden. Dann müssen zum Beispiel Raffinerien oder Heizölhersteller für ihre Produkte CO2-Zertifikate kaufen – das landet dann alles beim Endverbraucher. Der Liter Benzin kann je nach Höhe des CO2-Preises zehn Cent oder mehr teurer werden.

Warum keine CO2-Steuer?

„Nehmt das Instrument, das schon da ist, macht es besser und umfassender“, lautet der Rat der Ökonomen. Zudem müsste der Wust an anderen Steuern im Energiebereich daran angepasst werden. Klar ist aber: An einem Preisschild für CO2 führt kein Weg mehr vorbei. Sonst ist das Ziel 55 Prozent weniger Treibhausgasemissionen bis 2030 im Vergleich zu 1990 nicht zu erreichen. „Der CO2-Preis muss in den Mittelpunkt gestellt werden, um den Klimaschutz voranzutreiben“, sagt Schmidt.

Und er betont: „Die Bürger müssen am Ende die Kosten tragen.“ Gefordert wird ein Ende der Klein-Klein-Politik, mit hier einem Programm und da einem Programm, sondern ein großer Wurf. „Die Chance hierzu sehen wir als historisch einmalig an.“ Alle Maßnahmen müssen einem Klima-Check unterzogen werden. Oberstes Ziel: Keine Gefahr der Volkswirtschaft und keine sozialen Verwerfungen.

[Mehr zum Thema: Umweltministerin kontert Altmaier – Schulze weist Kritik an CO2-Steuer zurück]

Wie genau soll das funktionieren?

Aus Sicht der Experten hat der Emissionshandel gegenüber der CO2-Steuer einen entscheidenden Vorteil: Die Menge der Treibhausemissionen wird im Vorfeld durch eine Obergrenze festgelegt – nur dafür gibt es Verschmutzungsrechte, je knapper sie werden, desto höher der Preis. Wenn die Menge kompatibel ist mit den Klimazielen für 2030 und 2050, ist sichergestellt, dass die Klimaziele erreicht werden. Nebeneffekt übrigens: Der Kohleausstieg kann viel früher als 2038 kommen. Der Preis pro Tonne CO2, der heute bei 25 Euro liegt, würde in einem erweiterten Emissionshandel ansteigen und damit der Betrieb von Kohlekraftwerken, die schon durch den jetzigen CO2-Preis unter Druck geraten, vollends unwirtschaftlich werden. „Der Ausstieg käme früher als 2038″, sagt Ökonom Schmidt.

Stilllegungen verbunden mit teuren Entschädigungen würden so entfallen. Es ist ein marktwirtschaftliches Instrument. Bei einer CO2-Steuer dagegen kann sich der Staat über hohe Einnahmen freuen, aber die Steuerung der Klimaziele ist schwieriger. Notfalls muss die Steuer immer weiter erhöht werden. Das kann Gelbwesten-Proteste wie in Frankreich provozieren. So oder so wird vor allem der Verkehr in den Fokus genommen. So günstig wie an diesem Wochenende, wo mit Ferienbeginn im bevölkerungsreichsten Bundesland Nordrhein-Westfalen der Reiseverkehr so richtig angerollt, wird es nächstes Jahr vielleicht nicht mehr in den Urlaub gehen.

Was ist das größte Risiko für den Verkehrssektor?

Dass der CO2-Preis so hoch ist, dass das Benzin stark ansteigt und plötzlich neue CO2-Emissionen durch einen regen Tankverkehr in das benachbarte Ausland entstehen. Schon heute variieren laut SVR die Energiesteuern stark zwischen den EU-Mitgliedstaaten. „Ende Juni 2019 betrug der Preisunterschied für Superbenzin zwischen Polen und Deutschland 23 Cent und zwischen den Niederlanden und Luxemburg 53 Cent“, heißt es in dem Gutachten. „Solche Unterschiede können zu einem Tanktourismus führen, infolgedessen es insgesamt sogar zu höheren Emissionen aufgrund des gefahrenen Umwegs kommen kann.“ Bei besonders großen Preisunterschieden könnte eine Betankung im Nachbarland selbst für längere Anfahrtswege lohnenswert sein. „Im Gebäudesektor könnte es möglicherweise zu ähnlichen Verlagerungen kommen, sollten die Preisunterschiede beispielsweise bei Heizöl zwischen Nachbarländern zu groß sein.“

Bekommen die Bürger Geld zurück?

Ja. Bei einem CO2-Preis von 35 Euro je Tonne könnte die jährliche Pauschale 140 Euro je Person betragen, betont das Gutachten – ähnlich wie es bei der Pkw-Maut geplant war, sollen die meisten Bürger nicht stärker belastet werden. Und wer wenig fährt oder heizt, bekommt noch was raus. Im Szenario eines einheitlichen CO2-Preises von 35 Euro je Tonne CO2 könnte die jährliche Pauschale 140 Euro je Person betragen. Die Frage ist nur wie eine solche pauschale „Klimadividende“ ausgezahlt werden kann.

In der Schweiz kann die Pauschale zum Beispiel einfach durch die Krankenkassen ausgezahlt werden. „In Deutschland gibt es kein vergleichbares System. Da jedoch eine grundsätzliche Versicherungspflicht in der Gesetzlichen Krankenversicherung existiert, könnte ein System beispielsweise hieran ansetzen“, betonen die Wissenschaftler. Oder aber die Einnahmen aus der CO2-Bepreisung werden genutzt, um einen Großteil der EEG-Umlage zur Förderung von erneuerbaren Energien, die momentan auf den Strompreis aufgeschlagen wird, aus dem Bundeshaushalt zu finanzieren. Das würde die Stromkosten in vielen Haushalten um einige hundert Euro im Jahr senken.

Wer wird zu den Verlierern zählen?

Beschäftigte in den fossilen Industrien, allen voran in Braunkohlekraftwerken. Ob der Strukturwandel in der Lausitz mit dem Umsatteln auf neue Jobs klappt, wird sich noch zeigen müssen. Und einige Branchen wie die Autoindustrie müssen rasch umsatteln. Eine konsequente Neuausrichtung der Klimapolitik würde auch eine Reform der umweltbezogenen Steuern und Abgaben umfassen, fordert der SVR – da droht neues Ungemach für Dieselbesitzer. Die Energiesteuern beim Kraftstoffverbrauch zum Beispiel orientieren sich bisher nicht so sehr an der Klimawirkung der Antriebsarten. So wird Benzin mit 65,45 Cent pro Liter stärker besteuert als Diesel mit 47,04 Cent pro Liter – ob das so bleibt? Fraglich.

Wer wird womöglich mehr zahlen?

Pendler sind hiervon bedroht und Alleinstehende, die mit Ölheizung in einem schlecht gedämmten Haus auf dem Land leben. Wo also der Verbrauch fossiler Energieträger hoch ist. Haushalte mit einer alten Heizung werden künftig einen relativ hohen Anteil ihres Einkommens für das Begleichen des CO2-Preises aufwenden müssen, betonen Schmidt und seine Kollegen. Im Vergleich zu Fernwärme würden Heizungen mit fossilen Brennstoffen signifikant stärker belastet.

Aufgrund der pauschalen Rückerstattung „würden zudem Alleinstehende im Durchschnitt stärker belastet“. Und eine große Wohnfläche sowie hohe Ausgaben für Kraftstoffe erhöhen ebenfalls die Wahrscheinlichkeit, „besonders viele Abgaben leisten zu müssen“. Bundesumweltministerin Svenja Schulze (SPD) betont: „Beim CO2-Preis müssen wir nicht mehr über das Ob reden.“ Wichtig sei aber, wie er sozial gerecht ausgestaltet werden kann. Das Positive: Nun gibt es eine gute Grundlage, statt das Klimathema mit Verkürzungen auszuschlaschten.

Wird auch fliegen teurer?

Zumindest nicht, wenn sich die Bundesregierung an die Empfehlungen der Wirtschaftsweisen hält. Diese nehmen nur eine zusätzliche CO2-Bepreisung in den Sektoren Verkehr und Wärme in den Blick und sprechen nicht von einer zusätzlichen Kerosinsteuer. Ursula von der Leyen, Anwärterin auf den Posten des EU-Kommissionspräsidenten, hat den europäischen Grünen jüngst angeboten, die Idee eines Europäischen Emissionshandels weiterzuverfolgen, in dem neben der Schifffahrt auch der Flugverkehr auch drin ist. Allerdings ist dieser schon teilweise erfasst. Flüge von und nach Drittstaaten sind aber ausgenommen. Frankreich prescht nun mit einer nationalen Kerosinsteuer vor.

Welche Gefahren birgt der Plan?

Der Nachteil des Emissionshandels ist, dass es zu starken Preisschwankungen kommen kann. Das ließ sich viele Jahre beim EU-Emissionshandel beobachten: Zeitweise schwaches Wirtschaftswachstum in Europa führte dazu, dass Unternehmen weniger produzierten. Weil damit zu viele Emissionszertifikate auf dem Markt waren, sank der Preis pro Tonne CO2 in den Keller, Anreize CO2 einzusparen, entfielen. Der Fehler wurde erst durch eine große Reform behoben – die Menge an Zertifikaten wurde begrenzt.

Dass der Staat einen festen Preis garantieren kann, ist der große Vorteil einer CO2-Steuer. Die Grundfrage bei allem: Wo liegt der „richtige“ CO2-Preis, der Unternehmen und Verbraucher zu klimafreundlichem Verhalten anreizt? „Das Thema der CO2-Bepreisung ist sicherlich sehr komplex“, räumt Kanzlerin Merkel ein. Aber zumindest hat die Regierung nun etwas mehr Klarheit gewonnen, in welche Richtung man auf den Topf schlagen sollte.

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