Politik

Selbstgespräch auf dem Weg zur Kanzlerschaft

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CDU-Chefin Kramp-Karrenbauer lässt maulige Mitglieder sich die Köpfe heißreden. Sie selbst kann Fallstricke meiden – und sich Jamaika nähern. Ein Kommentar.

Die Bundesvorsitzende der CDU, Annegret Kramp-Karrenbauer

Wer das CDU-Werkstattgespräch zu Migration, Sicherheit und Integration als „Stuhlkreis“ verspottet, der tut Annegret Kramp-Karrenbauer unrecht. Sie hat vor ihrer Wahl als Parteichefin versprochen, die Flüchtlingspolitik von Angela Merkel aufzuarbeiten, und nun wird emsig in diversen Arbeitsgruppen über Zuwanderung, Integration, Asylrecht und Abschiebungen diskutiert – doch hinter AKKs Werkstattgespräch steckt machttaktisches Kalkül: Das Parteiselbstgespräch zur Vergangenheitsbewältigung ist eine wichtige Etappe auf dem Weg zur möglichen Kanzlerschaft. Schafft sie es, die internen Gräben zuzuschütten, kann auf diesem Fundament ein Gerüst dafür entstehen. Die Substanz ist da: ihr konservatives Innenpolitik-Profil, mehr Harmonie mit der CSU – und die Hoffnung auf eine Annäherung an FDP und Grüne.

Ihr erster Schritt in Richtung Kanzlerschaft muss aber auf dem Terrain der CDU anfangen. Seit dem Hamburger Parteitag ist der Riss unübersehbar, abzulesen ist er an AKKs Wahlergebnis. Dass sie nun klären lässt, wie die Partei zur Flüchtlingspolitik aus dem Herbst 2015 steht, ist eine notwendige wenngleich noch nicht hinreichende Voraussetzung dafür, diesen wieder kitten zu können. Der Balanceakt zwischen Rückschau und dem Blick nach vorne erfordert Geschick: Kramp-Karrenbauer kann nicht zu sehr auf Konfrontation gegenüber der Kanzlerin gehen, braucht aber genügend Abstand zu ihr. So lässt sie entgegen dem erklärten Willen Merkels deren Flüchtlingspolitik diskutieren. Die ist selbst nicht anwesend und meint, durch diese Form der Aufarbeitung werde Zeit „verplempert“. Kramp-Karrenbauer hat sich davon nicht beirren lassen, weil sie fürchtet, der Streit könne sonst zu solch einem Dauerkonflikt geraten wie bei der SPD die Agenda 2010.

Die dürftigen Machtoptionen der Sozialdemokraten sind hinreichend bekannt. Und auch AKK hat die Landtagswahlen in gleich vier Bundesländern fest im Blick. Hinzu kommt die Europawahl im Mai. Um dem Flüchtlingsthema vor diesem Hintergrund die Dynamik zu nehmen, können sich maulige CDU-Mitglieder daher jetzt erst nochmal mit Asylexperten, Juraprofessoren und Politikwissenschaftlern die Köpfe heißreden. Die neue Chefin kann viel entspannter über den Detail-Fallstricken schweben.

Dabei ist AKK in puncto Innenpolitik alles andere als ein Softie. Als Ministerpräsidentin des Saarlands ließ sie längst das Alter von angeblich minderjährigen Flüchtlingen zwangsweise überprüfen, als bundesweit darüber noch lang und breit diskutiert wurde. Straffällig gewordenen Asylbewerbern will sie die Wiedereinreise nicht nur nach Deutschland, sondern auch in den gesamten Schengenraum auf Lebenszeit verweigern.


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Basis für eine Jamaika-Option?

Solche Positionen kommen zudem der CSU entgegen, die ihrerseits auch wieder mehr auf Harmonie setzt. Vorbei ist die Zeit des bösartigen Sommers 2018 als die bayerische Schwester unter Horst Seehofer wegen der Migrationspolitik der CDU tiefe Wunden zufügte. Stattdessen eröffnet jetzt offiziell Bayerns CSU-Innenminister Joachim Herrmann mit AKK das Werkstattgespräch. Die unter Markus Söder etwas leiser auftretende Schwesterpartei hält ihr den Rücken frei. So kann sie die Fühler auch über die Union hinaus ausstrecken.

Auf die FDP zuzugehen, dürfte nicht allzu schwer sein: Nach dem Jamaika-Aus wird sich Parteichef Christian Lindner kein zweites Mal ein „Nein“ erlauben können. Und auch die Grünen, mit denen AKK im Saarland schon mal in einer Jamaika-Koalition regiert hat, bewegen sich bundesweit – etwa in Asylfragen – etwas auf die Union zu.

Wenn nach dem „Stuhlkreis“ also die CDU-Sitzmöbel wieder dauerhaft enger zusammengeschoben werden, könnte das die Basis für eine Jamaika-Option sein. Und wenn die in greifbare Nähe kommen sollte, wird keiner mehr zu fragen wagen: Wo ist eigentlich Friedrich Merz?

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