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Niemand will einen Revolver am Kopf

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Die USA drohen mit der Kündigung des INF-Vertrags. Der Leiter des Kieler Instituts für Sicherheitspolitik warnt im Interview vor Hysterie.

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Herr Professor Krause, auf Wunsch der Nato haben die USA Russland nun eine Frist von zwei Monaten eingeräumt, um den Vertrag über nukleare Mittelstreckenraketen (INF-Vertrag) zu erfüllen. Geschieht dies nicht, wollen die USA den Vertrag kündigen. Droht dann ein neues atomares Wettrüsten?

Wir sollten mit dem Begriff „Wettrüsten“ und mit der damit verbundenen Apokalyptik vorsichtig umgehen. Fakt ist: Spätestens seit Anfang 2014 sucht Russland die strategische Konfrontation mit den westlichen Staaten und zwar hauptsächlich im militärischen Bereich. Darauf müssen Nato und EU reagieren, die einen mit maßvollen aber effektiven militärischen Reaktionen, die anderen mit Wirtschafssanktionen. In beiden Bereichen hat der Westen bislang eher zurückhaltend reagiert: die militärischen Maßnahmen zur Versicherung der baltischen Staaten sind angesichts des russischen Militäraufbaus in der Region bescheiden ausgefallen. Nun kommt es darauf an die neue, nukleare Herausforderung durch Russland zu begreifen und angemessen zu reagieren.

Außenminister Heiko Maas will alles unternehmen, um den Vertrag zu retten. Hat die Bundesregierung dazu Möglichkeiten, obwohl sie nicht einmal Vertragspartei ist?

Ich kann nicht nachvollziehen, warum der Außenminister so viel Wert darauf legt einen Vertrag erhalten zu wollen, der keine Schutzfunktion für deutsche Sicherheit mehr hat.

Warum hat er keine Schutzfunktion mehr?

Der INF-Vertrag deckt lediglich landgestützte Raketen und Marschflugkörper mit Reichweiten zwischen 500 km und 5500 km ab, nicht jedoch seegestützte oder solche, die von Flugzeugen aus gestartet werden. Mittlerweile baut Russland eine Bedrohungskulisse mit U-Boot-gestützten Atomwaffenfähigen Marschflugkörpern und mit ballistischen Raketen auf, die gerade noch unter dem INF-Vertrag erlaubt sind, aber wegen ihrer Vornestationierung in der russischen Exklave Kaliningrad die gleiche Funktion erfüllen wie Mittelstreckenraketen.

Welches Kalkül steckt dahinter?

Die Aufstellung dieser Waffen macht nur Sinn als Teil eines Plans für einen regionalen Krieg im Baltikum, bei dem Russland nach erfolgreicher Besetzung der baltischen Staaten und vielleicht auch anderer Territorien die Nato von einer Rückeroberung dieser Gebiete abschrecken will. Die Nato hätte dann nur die Wahl zwischen Akzeptanz der russischen Eroberung oder einem Kernwaffenkrieg.

Die Nato sagt, Russland entwickle entgegen dem Vertrag neue Mittelstreckenraketen. Ist es nicht notwendig, dass die Nato diesen etwas entgegensetzt?

Ja, die Nato muss reagieren, aber das muss nicht notwendigerweise bedeuten, dass man neue Mittelstreckenraketen baut und diese in Europa oder gar in Deutschland stationiert. Entscheidend ist, dass das militärpolitische Kalkül Moskaus durchkreuzt wird, welches darauf abzielt, wieder einen erfolgreichen Angriffskrieg in Europa möglich werden zu lassen.

Werden die USA und dann auch die Nato nicht ebenfalls nuklear aufrüsten, nachdem sie den Vertrag gekündigt haben?

Der Westen muss auf die sich aufbauende russische Nuklearbedrohung reagieren, aber das muss nicht in einen Rüstungswettlauf münden. Leider gibt es deutsche Politiker und Politikerinnen, die geradezu reflexhaft und ohne vertiefte Kenntnis der Zusammenhänge von der Gefahr eines angeblich gefährlichen Rüstungswettlaufes sprechen, sobald derartige Fragen nur thematisiert werden. Das trägt nicht dazu bei, dass deutsche Politik im Ausland ernst genommen wird.

Ist die Situation vergleichbar mit der Nachrüstungsdebatte der 80er Jahre des vergangenen Jahrhunderts?

Ja und nein. Zum einen ist eine Ähnlichkeit insofern gegeben, als damals wie heute das militärstrategische Kalkül der russischen Seite den Anfang macht. Schon damals ging es Moskau darum eine geplante Invasion dadurch abzusichern, dass der Nato jeglicher Versuch verunmöglicht werden sollte, den Ausgang des Krieges zu beeinflussen. Der Unterschied zu heute liegt aber darin, dass es damals um eine großangelegte Invasion der Bundesrepublik Deutschland, der Benelux-Länder, Skandinaviens, Österreichs, Italiens, Jugoslawiens, Griechenlands und der Türkei ging. Heute sprechen wir von einem begrenzten Schauplatz und von einem Russland, welches deutlich kleiner und militärisch schwächer ist als es die Sowjetunion war. Von daher bestehen – nicht zuletzt aufgrund der verbesserten Möglichkeiten der Raketenabwehr – andere Optionen. Vor allem sind die Optionen im Bereich Wirtschaftssanktionen noch lange nicht ausgeschöpft.

Die Nato wirft Russland vor, gegen den INF-Vertrag zu verstoßen. Umgekehrt klagt Russland, Abwehrstellungen gegen iranische Raketenangriffe in Rumänien könnten zu Offensivwaffen umgerüstet werden. Warum lädt die Nato die russische Seite nicht zu Inspektionen ein?

Es gibt zu dieser Frage seit mehreren Jahren russisch-amerikanische Gespräche, die bislang zu keinen Ergebnissen geführt haben. Inspektionen vor Ort werden daran auch nichts ändern. Hintergrund ist, dass die USA Raketenabwehrstellungen in Rumänien aufbauen, deren Abschussgeräte aus dem Bereich der Marine kommen und aus denen auch seegestützte Tomahawk Marschflugkörper (mit Reichweiten von 2.500 km) abgeschossen werden können. Theoretisch wären sie in der Lage auch Tomahawks von Rumänien abzuschießen. Dieses Beispiel zeigt, wie wenig sinnvoll ein Vertrag über die Abschaffung von Raketen bestimmter Reichweiten ist, wenn dieser nur auf landgestützte Systeme Anwendung findet.

Beobachter sehen Hinweise darauf, dass in Kaliningrad und auf der Kola-Halbinsel Bunker zur Lagerung von Kernwaffen gebaut werden. Wenn da so wäre – was würde es dann bedeuten?

Derartige Bauvorhaben lassen erkennen, dass die neue nukleare Bedrohung durch Russland real ist und ernst genommen werden muss. Die Lagerung von Kernwaffen in Kaliningrad bei gleichzeitiger Stationierung von Iskander Raketen bedeutet, dass in absehbarer Zeit Berlin und Warschau einer direkten Bedrohung durch nicht-strategische russische Kernwaffen ausgesetzt sind. Um die Zielsetzung zu erkennen, muss man sich nur vor Augen halten, wie der damalige sowjetische Präsident Michail Gorbatschow 1987 den Abschluss des INF-Vertrages begründet hatte: Er sagte, dass er nicht gerne in einer Situation verhandele, bei der ihm die andere Seite den Revolver an den Kopf hält.

Professor Joachim Krause (61) ist Direktor des Instituts für Sicherheitspolitik an der Universität Kiel.

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