Politik

Angriffe gegen die eigene Bevölkerung

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Willkürliche Festnahmen, Isolationshaft, Folter: Die UN prangern die Menschenrechtslage in Eritrea an.

Eine Gemüsemarkt Senafe im Süden Eritreas etwa 30 Kilometer nördlich der Grenze zu Äthiopien.

Kulturerbe Asmara: Wer in Eritreas Hauptstadt landet, staunt vor allem über die Art déco-Bauten, die die italienischen Bauherren am Horn von Afrika hinterließen. Eine architektonische Zeitkapsel. Hinter den pompösen Kolonialfassaden herrscht jedoch eine andere Realität: Wer es wagt, das politische Establishment zu kritisieren, wird mundtot gemacht. Folter, außergerichtliche Hinrichtungen und unbefristete Zwangsarbeit sollen zu den Machtmitteln von Präsident Isayas Afewerki gehören. Das Regime scheint in Dauersorge: Gewährt es seinen Bürgern zu viele Freiheiten, drohe Eritrea seine Souveränität zu verlieren. Diese Denkweise vermochte selbst ein Friedensdeal mit dem früheren Erzfeind Äthiopien nicht zu ändern. 

Flankiert von Soldaten öffnen Eritreas Präsident Afewerki und Äthiopiens Premierminister Abiy Ahmed die Grenze – die Bilder der historischen Geste gingen letztes Jahr um die Welt. Erstmalig seit 20 Jahren befanden sich die Nachbarn nicht mehr im Kriegszustand. Ermöglicht hatte dies ein Friedensvertrag zwischen der früheren Besatzungsmacht und Eritrea, das 1993 von Äthiopien unabhängig wurde. Über Nacht wurden dadurch alte Handelswege, Telefonleitungen und Grenzposten wieder geöffnet. Zerrissene Familien wurden wiedervereint.

Die politischen Reformen lassen auf sich warten

„Seit Unterzeichnung der Friedens- und Freundschaftserklärung erzielten die beiden Länder weitere Erfolge, um anhaltenden Frieden sicherzustellen“, lobte vor kurzem Daniela Kravetz, die UN-Sonderberichterstatterin für Menschenrechte in Eritrea. Zudem habe das ostafrikanische Land seine Beziehung zu anderen Nachbarstaaten verbessert und Willen gezeigt, seine bilateralen Beziehungen zu „normalisieren“. Im November fielen dann auch noch die UN-Sanktionen gegen das Regime. Italienische Investoren liebäugeln schon mit einem potenziellen neuen Handelspartner.

Und noch eine Hoffnung wuchs: „In Eritrea und in der internationalen Gemeinschaft weckte der positive Schwung Erwartungen, dass Eritrea auch politische Reformen umsetzt“, so Kravetz. Doch mit Ernüchterung hält die UN-Diplomatin fest: „Die Menschenrechtssituation bleibt unverändert.“

In Genf findet derzeit die 41. Sitzung des UN-Menschenrechtsrats (24. Juni bis 12. Juli) statt. Dabei soll unter anderem entschieden werden, ob Kravetz‘ Mandat als Beobachterin der Menschenrechte vor Ort verlängert wird. Dass Eritrea bis 2021 selbst in dem UN-Gremium sitzt, ist für einige Beobachter pure Ironie. „Die Menschenrechtslage in Eritrea bleibt fatal“, warnte im Vorfeld der Sitzung eine Allianz von internationalen und eritreischen Aktivisten. Willkürliche Festnahmen, Isolationshaft, keine fairen Gerichtsverfahren, keinerlei Informationen über den Verbleib von inhaftierten Regimegegnern, das Fehlen einer Verfassung, unbefristeter Arbeitsdienst, Unterdrückung der Rechte auf Meinungsäußerung – die Liste von Afewerkis Machtwerkzeugen ist laut den Aktivisten lang.

Die Grenzen sind wieder geschlossen

Auch UN-Expertin Kravetz lobt in ihrem Bericht für das UN-Treffen, dass nach Jahrzehnten etwa wieder eine Luftbrücke zwischen Äthiopien und Eritrea existiert. Den politischen Frühling in Eritrea selbst zweifelt sie jedoch an. Im Dezember hatte Eritrea erneut seine Grenzen geschlossen. Zuvor waren laut UNO „täglich 250 bis 300 Menschen“ nach Äthiopien geflohen.

Eine neutrale Einschätzung der Menschenrechtslage in Eritrea bleibt schwierig, denn das Regime verweigerte sowohl Kravetz als auch ihrer Vorgängerin die Einreise. Ihre Berichte stützten die UN-Expertinnen daher auf Interviews mit Diplomaten und eritreischen Flüchtlingen. Beobachter, die es ins Land schafften, zeichnen ein gemischtes Bild: Viele Eritreer seien gespalten zwischen der Hoffnung auf ein besseres Leben und dem Kampfgeist, der den Unabhängigkeitskampf begleitete. Zwischen Flucht, Stolz und Patriotismus.

Priester und Gottesdienstbesucher verhaftet

Für einige Beobachter steht jedoch fest, dass der jüngste Streit zwischen Eritrea und der UN-Sonderberichterstatterin die allgemeine Rechtslage widerspiegelt: Mitte Juni warf Kravetz dem Regime Christenverfolgung vor. Fünf orthodoxe Priester und 171 Gottesdienstbesucher waren zuletzt unter den strengen Religionsgesetzen verhaftet worden. 22 Kliniken im Besitz der katholischen Kirche wurden beschlagnahmt. „Diese Aktionen zeigen, dass die Menschenrechtssituation in Eritrea unverändert bleibt“, so Kravetz. Das Regime bestritt die Vorwürfe wie gewohnt als „an den Haaren herbeigezogen und schlicht unwahr“.

Unterdessen rief Laetitia Bader, Afrika-Forscherin bei Human Rights Watch (HRW), Eritreas Nachbarstaaten auf, stärker für Menschenrechte in Eritrea einzutreten. Schließlich seien sie diejenigen, die mit den Konsequenzen leben müssten. „Die Nachbarländer wissen aus erster Hand, dass sich nichts geändert hat. Täglich fliehen hunderte Eritreer über die Grenze, darunter Kinder, die dem unbefristeten Arbeitsdienst entkommen wollen.“ Bader warnt die internationale Gemeinschaft davor, wegen des politischen Tauwetters in Ostafrika nun ein Auge zuzudrücken. Falls der Menschenrechtsrat in Genf beschließt, das Mandat der Sonderberichterstatterin aufzukündigen? Eritrea sähe darin einen „Beweis, dass sich nichts ändern muss“.  

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